Ich frage mich manchmal, woran sich diese Nation eigentlich orientiert, um einen solchen Nationalstolz zu entwickeln. Denn eigentlich sind die Chinesen überhaupt keine homogene Gemeinschaft, und bei dem täglichen Überlebenskampf auf den Straßen und dem doch eher unfreundlichen Verhalten untereinander fällt es mir schwer, hier eine Gemeinschaft zu entdecken. Die Gruppen, die mir hier einfallen, sind spontan folgende: Alt und jung, modern und traditionell, arm und reich, sportlich und faul.

Sicher, auch in anderen Gesellschaften gibt es diese Gegensätze, aber nirgendwo sind diese meines Erachtens dann so 100% klar mit Grenzen belegt. Zum Beispiel modern vs. traditionell. Eine Kollegin, die sich als traditionell bezeichnet, würde nie abends in eine Bar gehen oder Alkohol trinken. Beides gilt als westliches Laster. Bis sie heiratet, lebt sie alleine (wenn sie eine Arbeit in einer anderen Stadt hat) oder bei Ihren Eltern. Der Freund muss Chinese sein, ebenfalls traditionell, und dann ist die Aufgabenteilung klar: Sie Haushalt, Kinder, ggf. noch Arbeiten, und er macht Karriere. Musik wird leise gehört und natürlich nur dass, was auch die Omas schon hörten.

Ganz anders die Chinesinnen, die sich selber als eher modern bezeichnen. Da wird gezecht, Bier, Schnaps, Champagner durcheinander bestellt. Die Röcke der Mädels gehen eher als breitere Gürtels durch. Die Männer fahren mit ihren Autos vor, stehen am Rande der Tanzfläche und gucken grimmig. Es wird westliche Musik oder chinesische Musik mit westlichen Wurzeln gehört. Marken müssen sein. Es wird gerne geprotzt und geprasst, Konsum ist Hobby Nummer 1.

Was mir fehlt, ist die goldene Mitte. Einer, mit dem man ein Bierchen trinken kann und dann nicht gleich abstürzen muss – aber halt auch einer, der sich nicht weigert, in eine Bar zu gehen.

Liebe Grüße Leo