September 2008


Manchmal frage ich mich, ob es nur Ausreden der Kollegen sind, um mal eine Stunde frei zu haben, oder ob in China doch noch so wenig über Bankverbindungen oder Internet geht. Auf jeden Fall verschwinden die Kollegen öfters mal, um verschiedene Erledigungen zu machen. Dabei handelt es sich aber um Sachen, die man in Deutschland entweder über Überweisungen, Daueraufträge oder das Internet löst. In China muss man dafür aber wohl persönlich aktiv werden. Da trifft man sich mittwochs um 11 Uhr, um die Miete persönlich beim Vermieter vorbei zu bringen. Um 3 Uhr freitags muss man zum Bahnhof gehen, um Fahrkarten zu kaufen – Internetverkauf gibt es nicht, und die Bahnschalter machen wohl früh abends schon zu. Und so geht es weiter: Strom kauft man in der Bank – man gibt Geld und eine Plastikkarte, und der Banker lädt diese auf. Wenn sie leer ist, gibt es einfach keinen Strom mehr. Bis wieder aufgeladen wird. Das gleich gilt für Internet, Warmwasser, Busfahrten, usw.

Gerade auf den Bahnhöfen kommt es Tage vor dem Chinesischen Neujahrsfest wohl immer zu Tumulten, bei denen die Polizei eingreifen muss – zu groß ist die Angst, keine Fahrkarte zu bekommen. Laut einer Kollegin gab es dieses Jahr in Beijing wohl einen kleinen Aufstand, als Punkt 6 abends die Bahnbeamten die Verkaufsschalter schlossen, obwohl noch hunderte von Kunden seit Stunden sich angestellt hatten.

Leo.

Chinesen haben ja ein etwas anderes Empfinden für die Liebe, jedenfalls die meisten, mit denen ich bisher geredet habe. Romantik, Sehnsucht, Gemeinsamkeit haben wenigstens nach außen hin einen anderen Stellenwert. Heute kam es dann in einem Gespräch dazu, dass mich interessiert hat, ob der meistbekannte chinesische Basketballspieler Yao Ming eine Freundin hat. Und falls ja, ist sie klein oder groß?

Die Antwort war: Ja, er hat eine, und sie ist Basketballspielerin in China. Ob sie es ins Nationalteam geschafft hat, konnte man mir nicht sagen – aber darum geht es auch nicht. Es ist vielmehr so, dass Yao Ming in der NBA spielt und so geschätzte 15 Flugstunden von China entfernt ist. Seine Freundin lebt aber weiterhin hier in China. Als ich fragte, warum sie nicht in die USA zieht, teilten mir die verdutzen Kollegen mit, dass sie hier in China Basketball zu spielen hat. Meinem Einwand zu Folge, dass sie sich ja dann recht wenig sehen können, wurde recht pragmatisch beantwortet. Als Basketballer kann man maximal spielen, bis man bis 35 Jahre alt ist – und danach kann ja einer der beiden zum anderen ziehen. Und bis dahin reicht es ja auch, wenn sie sich alle 8 Wochen mal besuchen – schließlich haben sie eine hohe Lebenserwartung und somit noch 40 gemeinsame Jahre vor sich.

Ein romantischer Europäer bekommt hier sicher einen Bauchkrampf – obwohl, wenn man in Deutschland in einer beliebigen Eckkneipe mal fragen würde, ob die Herren gerne noch mehr Zeit mit ihrer Frau verbringen würden – wahrscheinlich wäre die Antwort: NEIN!

Liebe Grüße Leo.

Die Rückkehr nach Beijing hat uns wettermäßig voll erwischt. Wir vermissen jetzt schon den blauen Himmel, der über Deutschland herrschte. Egal ob Rostock, Hamburg, Bremen oder Essen, wo Holly oder ich auch hinfuhren, überall war klare Sicht. Bei der Rückkehr nach Beijing allerdings nicht.

Heute morgen – Regen! Obwohl, der Regen hat ja auch seine Vorteile, wie ich an anderer Stelle schon berichtet habe. Da es bei Regen immer sehr schwer ist, ein Taxi zu finden, beschloss ich heute morgen, dennoch mit dem Rad zu fahren. Neben einer Tschibo Regenhose, welche ich aus Deutschland eingeführt hatte, bin ich auch stolzer Besitzer eines chinesischen Fahrradregenponschos. Die Chinesen nennen das vereinfacht einfach “y?y?”. Das kommt von Regen (y?) und Kleidung (y?fú). Dieser kann vorne mit einer Klammer am Fahrradkorb eingehakt werden, hängt dann über Lenker und Arme und sorgt dafür, dass man nicht nass wird. Für den Regen von unten, wie Forest Gump sagen würde, gibt es ja dann die Radregenhose. So gerüstet bin ich losgezogen. Wenn es keine unterschiedlichen Farben dieser Ponschos geben würde, würden an Tagen wie dieser alle Radfahrer gleich aussehen. Ohne diesen Ponscho geht bzw. fährt keiner wirklich los, allerdings haben die wenigsten bisher die Regenhose für sich entdeckt. Das Fahren mit dieser Kleidung erschwert das Vorankommen erheblich. Insbesondere der wichtige Schulterblick ist nur schwer möglich. Aufgrund des festgeklemmten Ponschos am Korb kann man sich nicht so einfach umdrehen bzw. wenn man sich umdreht, dreht sich der Anzug nicht mit. Man blickt also halb in den gelben Plastiksack, und nur halb auf die Straße. Dank des Regens sind auch die Bremseigenschaften des Rades extrem eingeschränkt, und da ich ungern durch tiefe Pfützen fahre, müssen zusätzlich noch Slalomkurven eingebaut werden. Dank des luftundurchlässigen Stoffes bleibt man zwar vom Regen geschützt, schwitzt aber einiges an Feuchtigkeit zusammen, so dass man doch nicht trocken ankommt. Als ich dann aber stolz im Büro ankam hängte ich mein Regenponscho gut sichtbar auf – die Chinesen schütteln bei so was nur den Kopf. Wer es sich leisten kann, fährt da lieber Taxi.

Die schönste Begegnung beim Regenwetter war allerdings ein Paar auf dem Motorrad. Er fuhr, sie umarmte ihn einhändig von hinten und hielt einen Regenschirm gegen die Fahrtrichtung, um ihren Geliebten und sich vor Regen zu schützen. Ob er zwingend viel gesehen hat, weiss ich nicht, allerdings wird das gute Mädchen heute sicher über Muskelkater im Arm klagen. Ich hoffe, sie sind nicht zu lange gefahren. Dieser Anblick war übrigens auch für die chinesischen Kollegen neu, sie hatten so etwas noch nicht gesehen. Somit lernt man jeden Tag etwas neues in der großen Stadt Peking.

Liebe Grüße Leo.

Kurzbesuch in Deutschland. 8 Tage frische Luft; Kollegen, die einem nach dem Leben in Beijing fragen; grüne Flecken überall in der Stadt; ich entdecke die Langsamkeit der Metropole Hamburg; Menschen, die mich überall verstehen, wenigstens sprachlich; Straßencafes und unzensierte Zeitungen…es sind viele Eindrücke, die auf einen einströmen.

Ich merke, dass mir einiges in Beijing fehlt – und bin doch froh, bald wieder weg zu sein. Ich merke, dass ich mich nach meiner Rückkehr nach Deutschland schnell wieder heimisch fühlen werde, und doch, noch ist keine Zeit dafür. Ich merke andauernd, dass ich vergleichen will. Was ist besser, was schlechter, was fehlt mir, was schätze ich an dem Leben hier. Ist es überhaupt vergleichbar? Oder sollte man es einfach kommentarlos lassen – 2 Welten, die zueinander gehören, und doch nicht ineinander passen? Ich weiß nicht so genau, was ich schreiben soll. Doch was mir doch angenehm auffällt in Hamburg ist die Tatsache, dass ich hier einer bin – einer von vielen. Ich falle nicht auf. Wegen mir ändern sich die Preise im Restaurant nicht, es wird niemand freundlicher, aber ich habe auch nicht das Gefühl, beobachtet zu werden.

Das Leben hier in Deutschland erscheint mir leichter, weniger Planung, es ergibt sich so, Auswege finden sich einfacher. Ich merke, dass ich hierher gehöre. Langfristig. Aber noch ist die Reise nicht zu Ende…und manches würde ich doch gerne übernehmen. So hätte ich die Kellnerin im Restaurant heute gerne mit einem lauten Fuwuyuan (noch besser im Beijinger Dialekt “Fuwuyu-ar”) auf uns aufmerksam gemacht. Stattdessen recke ich leicht den Arm, starre sie an und hoffe, dass sie mich irgendwann bemerkt, zu uns kommt, und ich sagen kann: “Entschuldigen Sie, aber wir würden gerne zahlen”. Und wenn am Freitag der Heizungsmechaniker kommt, und ich danach auf die Rechnung blicke und aus den Latschen kippe, dann weiß ich: Hier bin ich daheim, hier gehöre ich hin. Beijing, 10 Flugstunden nur entfernt, du bist eine anderer Welt. Ich vermisse dich, aber wenn ich dich wieder habe, zähle ich die Tage, dich wieder zu verlassen.

Liebe Grüße Leo.